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Lichtblicke aus aller Welt

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Die ganze Welt befindet sich im Ausnahmezustand – mittlerweile ist „Verzicht“ für die Wenigsten ein Fremdwort. Sorgen entstehen, mit denen noch vor einem Jahr nicht zu rechnen gewesen wäre. Kaum ein Alltag ist von Einschränkungen und Veränderungen verschont geblieben und einige Menschen haben mit existenziellen Sorgen zu kämpfen. So grau die Welt im Moment scheint, die Zeit hat für viele auch eine andere Seite.

Vor allem zu Beginn der Krise ist mir häufig das Wort „Entschleunigung“ begegnet und ich selbst hatte den Luxus, dieses Wort auch auf mich beziehen zu können. Keine Uni, keine Klausuren, kein Alltagsstress – für mich eine Möglichkeit, mir Zeit für mich zu nehmen, mich mit mir selbst auseinanderzusetzen und mal so richtig zu entspannen. Einfache und kurze Telefongespräche, die ich noch vor ein paar Monaten als lästig empfunden habe, genieße ich heute sehr. Sie lassen in mir eine große Vorfreude auf zukünftige Normalität erwecken. Natürlich vermisse auch ich einen Alltag mit vielen sozialen Kontakten und das sorgenlose Einkaufengehen, dennoch hat die Zeit der Pandemie für mich auch eine andere Seite. Ich bin mir bewusst, dass es bei weitem nicht allen so geht und ich möchte es mir nicht anmaßen, Corona zu verherrlichen. 

Mich interessiert,  wie andere Menschen mit der Situation umgehen. Menschen überall auf der Welt, die vielleicht nicht so sorglos die freie Zeit genießen können. Sei es durch eine andere wirtschaftliche Lage, durch eine andere Politik, durch finanzielle Sorgen, durch Gefühle der Einsamkeit oder weiteres. Aber auch Menschen, deren Alltag sich ähnlich wie bei mir allein durch die momentanen Maßnahmen verändert. Menschen, die trotz der dunklen Zeit ihre Lebenslust nicht verlieren.

Ich habe immer wieder die gleichen Fragen gestellt – und viele Lichtblicke zurück bekommen.

Wie unterscheidet sich dein aktueller Zeitvertreib von dem vor Corona?

Lilly (16, Schülerin) aus Abu Dhabi: Vor Corona habe ich viel Zeit draußen verbracht und viel unternommen, vor allem da das hier eigentlich das ganze Jahr lang geht. Jetzt mache ich Sport drinnen statt draußen oder greife öfters zu einem Buch. Ich habe aber auch ganz neue Dinge ausprobiert, z.B. viel gebacken oder ein 1000 Teile Puzzle angefangen. Außerdem habe ich viel für die Schule zu tun, weil wir alle Aufgaben online erledigen müssen. Also eigentlich hat sich alles nach drinnen verlagert, was vieles aber leider sehr einschränkt.

Thami (46, Schulleiter) aus Südafrika: Ich gehe viel Joggen und esse sehr viel! Hier haben alle Restaurants geschlossen und die meisten bieten keinen Lieferservice an. Außerdem ist das Bestellen viel teurer als das Essen im Restaurant. Deswegen haben viele Menschen gelernt, zu Hause zu kochen. Weil ich so viel zuhause bin esse ich den ganzen Tag.

Anas (23, Tourguide) aus Marokko: Im Moment genieße ich den wunderschönen Blick auf die Berge. Man kann wirklich sagen, dass ich wieder zu mir selbst finde, nachdem ich viele Jahre in der Stadt verbracht habe. Das Dorfleben ist sehr einfach und lohnenswert, deswegen mache ich mir keine Sorgen. Zurzeit erkunde ich meine Region.

Bengt (25, Student) aus Norwegen: Seit ich so viel Zeit habe, gehe ich sehr viel skaten.

Sandra (20, Lehrerin) aus Ghana: Ich hoffe, dass Covid-19 bald vorbei ist, dass ich wieder in die Kirche gehen kann, weil ich meine Kirche sehr vermisse. Normalerweise gehe ich Montags bis Freitags zur Schule, mache Samstags ein paar Hausarbeiten und verbringe den Sonntag in der Kirche, aber durch Corona muss ich jeden Tag drinnen bleiben.

„Ich hoffe, dass Covid-19 bald vorbei sein wird, dass ich wieder in meine Kirche gehen kann.“

SANDRA (20), LEHRERIN AUS NSAWAM, GHANA

Foto: Privat

Gibt es etwas, für das du dir momentan bewusst Zeit nimmst?

Anas (23, Tourguide) aus Marokko: Es stimmt, dass Corona unsere Leben verändert hat. Aber ehrlich gesagt fühle ich mich viel verbundener mit mir selbst. Durch meinen Job habe ich die meiste Zeit unterwegs verbracht. Also sehe ich eine positive Seite dieser Momente, denen wir grade begegnen, mit der Hoffnung, dass sich die ganze Welt von der Epidemie erholen wird.

Gabriela (26, angehende Phytotherapeutin) aus Belgien: Mich auszuruhen wenn es nötig ist, so viel wie es geht draußen in der Sonne mit der Natur arbeiten und präsenter für meinen Sohn sein.

Lucinda (20, Studentin) aus der Schweiz: Über Themen, die mich interessieren, recherchieren und Yoga ausprobieren.

Sam (22, Studentin) aus den USA: Im Moment nehme ich mir viel Zeit zum Spazieren und genieße die Vorteile des sommerlichen Wetters. Eigentlich wäre ich zu dieser Zeit sehr beschäftigt mit meinen Abschlussprüfungen, also verbringe ich normalerweise nicht so viel Zeit draußen. Aber jetzt wo wir an unsere Häuser gebunden sind ist es nötig, an die frische Luft zu gehen und in der Sonne zu baden. Ich genieße es sehr, jeden Tag eine Stunde die kleinen Veränderungen der Welt von Winter zu Frühling zu genießen. Zum Beispiel frische, grüne Blätter an den Bäumen oder das immer mehr Farbe zeigende Gras.

Reza (27, Lehrer) aus dem Iran: Ja, ich arbeite an einer Instagramseite und lerne tatsächlich Spanisch.

Cristina (21, Studentin) aus Italien: Mein momentaner Alltag unterscheidet sich sehr von meinem früheren. In Italien können wir das Haus nur zum Einkaufen verlassen, oder um mit dem Hund im Umfeld von 200 Meter vorm Haus spazieren zu gehen. Es ist schwer, Freunde und Familie nicht sehen zu können aber ich glaube, dass die Zeit jedem die Möglichkeit gibt, mehr nachzudenken und zu verstehen, auf was man sich wirklich fokussieren sollte.

Suwaree (52, Bankkauffrau) aus Thailand: Selbstpflege und Hausarbeiten.

Thami (48, Schulleiter) aus Südafrika: Ich schätze die Zeit sehr, ich habe verschiedene Projekte mit Indien, Deutschland und Mexiko am Laufen, die ich jetzt endlich realisieren kann. Ich habe mehr Zeit, an Studien zu arbeiten und gehe morgens joggen. Hier in Südafrika dürfen wir das Haus nur von sechs bis neun Uhr morgens zum Sport verlassen, danach kontrolliert das Militär, wer sein Haus aus welchen Gründen verlässt. Außerdem beschäftige mich mit meinem 1000-Teile Puzzle, welches ich von meiner Reise nach Deutschland mitgebracht habe. Jetzt habe ich endlich die Zeit, zu puzzeln und Filme zu schauen.


„Zur Zeit haben wir kein Heilmittel, die einzige Stärke die wir haben, ist uns selbst zu vertrauen und niemals die Hoffnung zu verlieren.“

Anas Elarfaoui (23), Tourguide aus Ouarzazate, Marokko

Foto: Privat

Was wirst du für dich aus dieser Zeit mitnehmen?

Aneta (21, Studentin) aus Polen: Mir mehr Zeit für mich und meine Familie nehmen, anstatt immer wieder neue Aufgaben zu planen.

Robyn (57, Bildungsbeauftragte) aus Australien: Ich bin dankbar, dass alle meine Kinder Jobs haben, wir alle gesund sind und ein Dach über dem Kopf haben.

Alen (20, Entrepreneur) aus Argentinien: Der Schlüssel zum Glück ist für mich, positiv zu bleiben und diese Zeit als eine Möglichkeit zu sehen, Dinge zu machen, für die wir sonst keine Zeit haben.

Roberto (21, Student) aus Mexiko: Ich nehme Empathie mit, weil ich gelernt habe, dass man nicht nur an sich selbst denken kann, sondern auch an die anderen. Ich habe auch gelernt, wie schnell und groß Krisen werden können. Und was ich auch mitnehme ist, dass man denen, die wenig haben, helfen soll. Corona hat den Menschen die Augen geöffnet, dass sie merken, was wirklich passieren kann, wenn man sich nicht schützt.

Lois (19, Studentin) aus Papa Neu Guinea: In der aktuellen Zeit, in der wir uns befinden, habe ich gelernt, die ganze harte Arbeit wertzuschätzen, die durchgehend von unseren Krankenschwestern, Ärzten  und den anderen verantwortlichen Menschen durchgeführt wird.

Cristopher (25, Tourist guide) aus Togo: Was ich besonders mitnehme, ist eins meiner Lieblingsdinge – meine Hoffnung. Ich weiß im Moment nicht, wann es vorbei sein wird und wie die Zukunft aussehen wird. Ich wache jeden Morgen auf und verbringe meine Zeit im Haus und frage mich, wann ich wohl endlich von guten Nachrichten höre, dass es vorbei ist.

Suwaree (52, Bankkauffrau) aus Thailand: Die Zeit mit der Familie, Freizeit, Lebensmittelvielfalt, Kontakt mit Menschen und den normalen Alltag mehr zu schätzen.


„Ich bin dankbar, dass meine Kinder und ich Jobs und ein Dach über dem Kopf haben.“

Robyn (57), Bildungsbeauftragte für Öffentlichkeitsarbeit in Cairns, Australien

Foto: Privat

Was macht dich besonders glücklich?

Anas (23, Tourguide) aus Marokko: Ich verbringe gerne Zeit mit meinen Freunden. Oft treffen wir uns im Stadtzentrum und immer, wenn wir uns unterhalten, bin ich so glücklich. Außerdem mit Touristen zu arbeiten, Entdeckungen zu machen und Dinge zu lernen. Das ist, was meinen Tag ausmacht.

Aneta (21, Studentin) aus Polen: Ich liebe Reisen, besonders mit meinem Freund. Immer, wenn wir eine Reise anfangen zu planen, bin ich sehr glücklich.

Robyn (57, Bildungsbeauftragte) aus Australien: Alles um meinen Enkel Charlie herum: ihn anschauen, mit ihm spielen, ihm vorlesen …  die Liste geht weiter…

Thami (48, Schulleiter) aus Südafrika: Laufen gehen, mit Menschen interagieren und mir im Fernsehen Sport anschauen. Ich vermisse mein Fußball so sehr!  

Gabriela (22, angehende Phytotherapeutin) aus Belgien: Die einfachsten Dinge des Lebens, mit Liebe und Kreativität zu leben. Umgeben von der wunderschönen Natur zu sein. Und natürlich mein Sohn Milo.

Alen (20, Entrepreneur) aus Argentinien: Es macht mich glücklich zu tanzen, persönliches Wachstum, Zeit mit Freunden zu verbringen und ein gesunder Lebensstil.

Lucy (19, Studentin) aus der Schweiz: Zu sehen, wie die Natur zurück an ihren Platz rückt, wo sie durch die Präsenz der Menschen lange Jahre nicht zu finden war.

Reza (27, Lehrer) aus dem Iran: Viel Geld zu haben, macht mich glücklich.

Bengt (25, Student) aus Norwegen: Skaten!

Sam (22, Studentin) aus den USA: Meine Freunde tragen sehr dazu bei, mich glücklich zu machen. Sie scheitern nie darin, mich zum Lachen zu bringen und sie sind immer für mich als mein größtes Unterstützungssystem da. Es war so viel besser gemeinsam in Quarantäne zu leben und auf diese wilde Gefühlsachterbahn zu steigen als alleine.

Mariela (21, Studentin) aus Guatemala: Was mich besonders glücklich macht, ist die Tatsache, mit meiner Familie zusammen zu sein. Ich bin sehr froh, weil ich gesund bin und ein Dach über meinem Kopf habe. Ich bin auch froh, mindestens dreimal am Tag Essen auf meinem Teller zu haben und dass ich die Gelegenheit habe, mein Studium über das Internet fortzusetzen. Leider ist mein Land arm und es gibt zu viel Korruption und nicht alle Menschen haben alles, was ich habe… Einige sind ohne Essen geblieben, andere ohne Haus, in dem sie leben können. Andere Menschen haben nicht einmal Grundversorgung wie Wasser und Strom. Dafür bin ich sehr dankbar und versuche, alles auszunutzen, was ich jeden Tag habe. Was ich aus dieser Zeit gelernt habe, ist, die kleinen Details des Lebens zu schätzen. Die Tulpen, die im Frühling wachsen, ein Kaffee mit Freunden, eine Umarmung von einem geliebten Menschen, das Gefühl der Sonne auf meinem Gesicht am Morgen und vor allem, lernte ich die Freiheit zu schätzen. Zu tun, was ich will, wann ich will…

Sandra (20, Lehrerin) aus Ghana: Wenn ich in der Schule mit meinen Kindern bin und Sonntags in die Kirche gehe freue ich mich so sehr.


“Ich glaube, die Welt nimmt ein neues Bewusstsein für Hygiene und auch für Digitalität mit.”

Thami (48), Schulleiter in Emahlaleni, Südafrika

Foto: Privat

Zu sehen, dass wir alle – trotz verschieden gravierenden Situationen – Antworten auf diese Fragen finden können, beeindruckt mich. Ich habe gemerkt, wie gut es mir getan hat, mich mit den vielen bunten Antworten zu beschäftigen. Neben den zahlreichen inspirierenden Ideen, das Indoor-Leben abwechslungsreich zu gestalten, habe ich die Zeit genutzt, alte und beinahe vergessene Kontakte wieder aufleben zu lassen.

Die Kontaktaufnahme ließ mich an unzählige Momente zurückdenken. An Momente mit Roberto aus Mexiko, der während meiner Schulzeit einige Monate bei mir gelebt hat und noch immer genau so interessiert am Dorfklatsch und -tratsch ist wie damals. An Momente mit Anas aus Marokko, der während meiner Reise in dem – meiner Meinung nach – besten Restaurant des Landes gearbeitet hat und sich nach dem Essen stets mit frischem marokkanischen Tee zu uns setzte. An die jährlichen Familienurlaube in die vermutlich kleinste Stadt Polens zu Aneta und ihrer Familie.

Das Schreiben dieses Artikels hat mir nicht nur die Möglichkeit zum Zurückerinnern gegeben. Ich habe viele neue Menschen kennengelernt und freue mich darauf, in Zukunft auch auf Momente mit ihnen zurückblicken zu können. Thami aus Südafrika, Schulleiter der Partnerschule meines Vaters, habe ich über Skype kennengelernt und ein sehr spannendes und witziges Gespräch mit ihm geführt. Eine Freundin half mir bei der Kontaktaufnahme zu Cristopher aus Togo. Mit Cristopher stehe ich seitdem im Kontakt und habe mit ihm einen sehr offenen und sympathischen Menschen kenngelernt.

Ich habe mir bewusst Zeit dafür genommen, mit diesen Menschen zu sprechen und es hat mich wahnsinnig glücklich gemacht, so viel Zeit und Offenheit von so unterschiedlichen Freundinnen und Freunden geschenkt zu bekommen.

Und du? Wofür nimmst du dir bewusster Zeit? Was macht dich besonders glücklich?

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  1. Thank you Tine. I so enjoyed reading about the stories/perspectives of so many people of different ages, from different places, with different jobs – I was left feeling so connected to my world brothers and sisters.

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