Wir machen das hier

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Foto: unsplash.com

Mein Bauch ist voll. Das Abendessen bei meiner Familie in der Heimat war ausgiebig und mit Diskussion gefüllt – aber vor allem bin ich satt, sehr satt. Auf dem Weg in die Küche fordere ich meinen kleinen Bruder auf, mit mir zu spülen. Zugegebenermaßen befehle ich es eher. Er weigert sich. Ich betone, dass ich mir seine Hilfe wünsche. „Ich wünsche mir auch viel und krieg’s nicht“, antwortet er mit einem Schnauben, die einseitig hochgezogene Lippe zu einem schrägen Grinsen verzogen. Mir verschlägt es für einen Moment die Sprache. „Ist das dein Ernst?“, zische ich ungläubig. Beim darauffolgenden Schlagabtausch spricht er leiser, flüstert nahezu. Vermutlich weiß er, dass sein Verhalten inakzeptabel ist. So wurden wir nicht erzogen. Wenn jemand nach Hilfe fragt, hilft man. 

Er stolziert zu meinem Vater, der beim Zusammensuchen passender Puzzleteile versucht, zu entspannen. Meine Mutter stößt zu mir. Typisch, die Frauen in der Küche während die Männer sich vergnügen. Kurz überlege ich, ob es den Aufwand wert ist, schon wieder die „Feminismus-Keule“ auszupacken. Es wäre wohl einfacher, es so stehen zu lassen. Doch ich kann mich nicht zurückhalten.

Also konfrontiere ich meine Mutter mit der Situation, überzeugt davon, dass sie insgeheim fühlt wie ich. „Ach, Papa hatte einen stressigen Tag, lass ihn doch puzzeln. Wir machen das hier“, sagt sie mit gelassener Stimme. Die Aufgabenteilung in meiner Familie ist klar: Papa als Ernährer und Mama als Haushaltsbeauftragte. Sie sind ein eingespieltes, in Entscheidungen gleichberechtigtes Team. Mama arbeitet auch, meine Eltern sind keine altgläubigen Antifeministen. Trotzdem liegt der Haushalt klar in ihrem Aufgabenbereich. Ich kann diese Aufgabenteilung mittlerweile zwar akzeptieren, verstehen will ich sie aber nicht.

„Papa tut das gut, wenn dein Bruder mit ihm puzzelt“. Die Ungläubigkeit scheint mir wohl ins Gesicht geschrieben, denn Mama fordert mich nun auf, einfach schnell mit ihr den Abwasch zu beenden. Ich fühle mich hintergangen. Meine eigene Mutter kann sich doch nicht Geschlechterrollen unterwerfen. Sie nimmt den Abwasch klar als ihre Aufgabe wahr und ordnet ihr Bedürfnis nach Entspannung dem von Papa unter.

Diesen Gedanken will ich nicht zulassen. Ich will, dass sie für sich einsteht. Außerdem will ich auch puzzeln. Doch dann würde es heißen: „erst nach dem Abwasch“. Das will ich in diesem Moment zumindest glauben. Vielleicht versteht sie mich einfach falsch. Ich beginne noch einmal.

Doch Mama blockt ab. Sie kann meine Emotionen nicht nachvollziehen. Ich fühle mich allein. Die Wut steigt in mir hoch und ich spüre diesen Kloß im Hals, der verhindert, dass ich richtig schlucken kann. Meine um Objektivität bemühte Argumentationsreihe beginnt zu bröckeln. Welche sarkastischen Aussagen ihren Mund verlassen, höre ich nicht. Das Unterdrücken des Gefühls, sie schütteln zu wollen, kostet mich nun meine gesamte Aufmerksamkeit. 

Ich rede weiter auf sie ein, aber meine Aussagen enthalten weit weniger Fakten als mir lieb wären. Meine Stimme beginnt zu zittern, obwohl ich selbstsicher und bestimmt klingen möchte. Ich bin enttäuscht. Resignation macht sich in mir breit. Obwohl ich meine Mutter so gerne überzeugen möchte, erscheint das bloße Nicken so einfach. Ich werde stiller, bewege mich zu dem schon längst abgespülten Topf und trockne ihn ab. 

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