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Darf man das noch sagen?

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Im Sommer entbrannte über einen kurzen und harmlos erscheinenden Tweet der Harry Potter Autorin J.K. Rowling eine leidenschaftliche Diskussion über Transphobie: Sie wurde zum Sinnbild eines größeren Konflikts. Unsere Autorin Leonie versucht uns einen Einblick in die Debatte zu geben.

Ein Überblick: Der Skandal um J.K. Rowling und was alles bisher passiert ist.

Mit diesem Tweet fing alles an: Am 6. Juni 2020 beschwerte sich die bekannte Schriftstellerin und Regisseurin J.K. Rowling über die Bezeichnung “People who menstruate”, Menschen, die menstruieren. Denn dafür gäbe es ja schon ein anderes Wort: Frauen. Über diesen kurzen und harmlos erscheinenden Tweet entbrannte eine leidenschaftliche Diskussion: Sie wurde zum Sinnbild eines größeren Konflikts.

Denn auf diesen Tweet folgten Weitere und für Beobachtende wurde immer deutlicher: Das war kein einzelner Versprecher oder Ausrutscher. Den Höhepunkt erreichte dieses Schauspiel in einem Essay, das die Schriftstellerin auf ihrer Internetseite Mitte Juni veröffentlichte.

In diesem Essay versucht Rowling ihre Position zu erklären, erwähnt Umstände, die zu ihrer Meinungsbildung beigetragen hätten und den Hass, den sie aufgrund ihrer Äußerung erlebt habe.

Vieles klingt zunächst sehr einleuchtend und mag überzeugend wirken. Was also ist so schlimm an diesem Essay und wo ist die Transphobie, über die diskutiert wird?

Die zwei Fronten:

In dieser Debatte gibt es mindestens zwei Perspektiven: Da ist einmal die Gruppe der “Gender Criticals”, die sich oft auf die Existenz eines “biologischen” Geschlecht oder auch “Sex” berufen. Oft werfen sie der Gegenseite vor, das bei der Geburt zugewiesene Geschlecht abschaffen zu wollen oder zu ignorieren. In diese Perspektive lassen sich auch viele von Rowlings Aussagen einordnen. In ihrem Tweet wird deutlich, Frausein ist für sie eng an die biologische Funktion des Menstruierens gebunden. 

Menschen, die diese Meinung vertreten werden häufig “TERF” gennant, “Trans-exclusionary radical Feminists”, obwohl dieser Begriff negativ konnotiert ist und deswegen von diesen Menschen nicht gerne gehört wird.

Auf der anderen Seite stehen Trans-Menschen und ihre Allies, also Cis-Menschen, die die Trans-Community unterstützen. Sie sehen eine Dissoziation zwischen dem, bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht (“Sex”) und der Geschlechtsidentität (“Gender”), die entweder im Einklang sind (Cis-Menschen) oder auch voneinander abweichen (Trans-Menschen). In diesem Fall ist aber eben nicht das , bei der Geburt zugewiesene Geschlecht, sondern das Gender entscheidend für die Identität einer Person. Ein Mensch, der nach Chromosomen männlich und nach seiner Gender-Identität weiblich ist, ist demnach eine Frau. Das gilt selbstverständlich andersherum auch für Männer.

Warum sind Rowlings Aussagen so verletzend?

Rowling spricht in ihrem Essay immer wieder Transfrauen mit “Er” und Transmänner mit “Sie” an. Das nennt man auch “Misgendern” und kann schnell als Beleidigung aufgefasst werden, denn es wird de facto jemand angesprochen, den es so nicht gibt. Es beinhaltet die zu Grunde liegende Annahme, dass das Gegenüber die eigene Gender-Identität nicht anerkennt.

Eine Idee die Rowling auch aufgreift, ist die Vorstellung, dass Frauen dem Frausein in eine Transidentität entfliehen, um Unterdrückung auszuweichen. Diese Idee wird von der Trans-Community strikt abgelehnt, da eine Zuordnung zu einem Geschlecht für sie keine strategische Überlegung, sondern eine angeborene Identität ist.

Zuordnen ist in diesem Zusammenhang ein sehr wichtiges Wort. Denn aus der Sicht von Transmenschen ist es nicht möglich, zu sagen, dass man sich dieses Geschlecht ausgesucht hat. Es ist also schon auffällig, wenn Rowling in ihrem Essay die Geschlechtsidentität bewusst unerwähnt lässt und sich auf die Beschreibung des “biologischen” Geschlechts beschränkt.

Was sagt die Wissenschaft dazu?

Ein wichtiger Knackpunkt in Rowlings Essay ist, wie sie mit wissenschaftlichen Quellen umgeht. Sie erwähnt an einigen Stellen wissenschaftliche Studien, doch Quellenangaben oder überprüfbare Zahlen findet man wenig. Wenn man einige der Aussagen mit aktuellen Studien vergleicht, wird schnell klar, dass viele Zahlen aus dem Zusammenhang gerissen, Tatsachen unklar formuliert sind und leicht zu falschen Schlüssen führen können. Dabei geht es keinesfalls um Meinungen oder Meinungsverschiedenheiten, sondern um einen wissenschaftlichen Konsens unter Expert*innen aus dem Forschungsfeld.

Ein wissenschaftliches Paper, das in diesem Zusammenhang oft zitiert und auch von Rowling aufgegriffen wird, ist eine Studie von Dr. Lisa Littman (2018), die den “rasanten Anstieg von Gender Disphoria in Jugendlichen und jungen Erwachsenen” untersucht. Littman beschreibt darin eine Art “soziale Ansteckung” von Geschlechtsidentitätsstörungen in Freundeskreisen. Dies widerspricht zunächst der Auffassung der Trans-Community, das eine Geschlechtsidentität eben nicht von solchen Einflüssen abhängig ist. Doch nicht nur aus dieser Sicht wurde das Paper stark kritisiert, auch methodisch gab es viele Zweifel an der Herangehensweisen der Forscherin. Sie hatte ihre Versuchspersonen ausschließlich auf drei Internetseiten angeworben, von denen mindestens zwei Plattformen für gender-kritische Eltern von Kindern mit Geschlechtsidentitätsstörung waren. Die Kritik wurde so immens, dass sich schließlich auch die Brown Universität, an der Dr. Littman forscht, von der Veröffentlichung distanzierte.

An vielen Stellen ist Rowling unklar in ihren Formulierungen wie z.B. bei den “Detransitioning-Rates”. Diese beschreibt den Anteil der Menschen, die sich nach einer Geschlechtsangleichung dazu entscheiden, sich zurück zu ihrem ursprünglichen biologischen Geschlecht operieren zu lassen. Die Schriftstellerin beschreibt diese Rate als schlicht als “wachsend” und verweist auf die unwiderruflichen Veränderungen der Körper dieser Menschen. Woher sie diese Information hat, wird nicht klar. Solche unklaren Formulierungen müssen zwar grundsätzlich nicht falsch sein, können bei Leser*innen aber zu falschen Schlüssen führen.

In Realität liegt diese Rate laut einer Studie aus Großbritannien bei ungefähr 0.47 Prozent, also verschwindend gering. Zudem entschied sich ein Großteil dieser Menschen für eine Rückoperation aus sozialen oder gesundheitlichen Gründen, nicht weil sich ihre Gender-Identität verändert hatte.

Sie erwähnt auch, dass es in Großbritannien einen 4400 prozentigen Anstieg an “Mädchen” gab, die an geschlechtsangleichende Behandlungen verwiesen wurden. Sie gibt jedoch auch dafür keine Quelle an und verschweigt dabei, dass nicht alle “Mädchen”, die sich eine solche Behandlungsweise vorstellen lassen, diese auch in Anspruch nehmen. Außerdem werden hierbei das Bevölkerungswachstum und der Kulturelle Wandel vernachlässigt, der es Transmenschen heute viel eher erlaubt, sich zu outen. 

Solche aus dem Kontext gerissenen und unklaren Formulierungen können großen Schaden anrichten: Denn sie tragen zur Illegitimierung der Identität von Transmenschen bei.

Die Erlebnisse dieser Personen werden jedoch von zahlreichen wissenschaftlichen Studien unterstützt. So fanden auch Savic et al. (2010) eine Dissoziation zwischen dem biologischen Geschlecht und der Geschlechtsidentität. Schon im Verlauf der Entwicklung eines Fötus im Bauch der Mutter lassen sich unterschiedliche Zeiträume für die Entwicklung der geschlechts-spezifischen Genitalien und die der gender-spezifischen Gehirnstrukturen eingrenzen. Durch diese separaten Prozesse lassen sich auch die Entwicklung von Transidentitäten erklären.

Der Stand der Forschung spricht oft gegen Rowlings Aussagen: die Ergebnisse von Studien unterstützen in vielerlei Hinsicht die Ansichten der Trans-Community. 

Aber: Meinungsfreiheit

Was aber natürlich festgehalten werden muss: Solange sich etwas im Rahmen der demokratischen Ordnung aufhält und nicht zu Gewalt gegen andere aufruft, darf man, auch J.K. Rowling, alles mögliche auf Twitter posten und liken, auch gender-kritische Inhalte. Und Bedrohungen und Androhungen von Gewalt, die Rowling nach ihren Äußerungen erhalten hat, haben auch dort keinen Platz. Natürlich kann man sich trotzdem dafür entscheiden, Menschen auf Social Media nicht mehr zu folgen oder sich kritisch gegenüber solchen Kommentaren zu äußern. Denn die Freiheit, die eigene Meinung zu äußern, ist schließlich keine Freiheit gegenüber der Konsequenzen dieser Äußerungen.

Schließlich: Was darf ich also jetzt überhaupt noch sagen? Muss ich Angst haben, dass ich mal was falsches sage? Woran kann ich mich orientieren?

Es geht nicht darum, Menschen den Mund zu verbieten oder aus dem öffentlichen Raum zu verbannen, nur weil mal ein falsches Wort benutzt oder einen geschmacklosen Witz gemacht . Das passiert. Es geht um ein grundsätzliches Verständnis des Gegenübers. Und ja, die Sprache verändert sich rasant und das mag sich für viele Menschen überfordernd anfühlen. Doch letztendlich geht es doch darum zu versuchen, zu verstehen, was betroffenen Menschen fühlen. Und das geht nur, indem wir anfangen diesen Menschen zu zuhören.

Quellen:

J.K. Rowlings Essay: https://www.jkrowling.com/opinions/j-k-rowling-writes-about-her-reasons-for-speaking-out-on-sex-and-gender-issues/

Definition Gender Critical: https://en.wiktionary.org/wiki/gender-critical_feminism

Definiton TERF: https://en.wiktionary.org/wiki/TERF

McLemure et al. (2018): https://psycnet.apa.org/record/2016-54169-001

Umstrittenes Paper von Littman (2018): https://journals.plos.org/plosone/article/file?id=10.1371/journal.pone.0214157.s001&type=supplementary

Zusammenfassung der Kontrverse um Littmans Paper: http://www.hbrs.no/wp-content/uploads/2017/05/Rapid-onset-2018-ROGD.pdf

Detransitioning Rates: Davis, McIntyre, Rympa (2019) https://epath.eu/wp-content/uploads/2019/04/Boof-of-abstracts-EPATH2019.pdf

Zucker(2017):https://www.researchgate.net/profile/Kenneth_Zucker3/publication/319301507_Epidemiology_of_gender_dysphoria_and_transgender_identity/links/59c64210a6fdccc7191ea1a1/Epidemiology-of-gender-dysphoria-and-transgender-identity.pdf

Norton & Herek (2013): https://www.researchgate.net/profile/Aaron_Norton/publication/237191337_Heterosexuals’_Attitudes_Toward_Transgender_People_Findings_from_a_National_Probability_Sample_of_US_Adults/links/02e7e51ba2081184f6000000/Heterosexuals-Attitudes-Toward-Transgender-People-Findings-from-a-National-Probability-Sample-of-US-Adults.pdf

Unterscheid von Gender-Identität & bei der Geburt zugewiesenes Geschlecht:

Savic, Garcia-Falgueras, Swaab (2010): https://www.researchgate.net/profile/Alicia_Garcia-Falgueras/publication/49626095_Sexual_differentiation_of_the_human_brain_in_relation_to_gender_identity_and_sexual_orientation/links/5a2d02a345851552ae7cc7ef/Sexual-differentiation-of-the-human-brain-in-relation-to-gender-identity-and-sexual-orientation.pdf

Roselli (2019) https://onlinelibrary.wiley.com/doi/pdf/10.1111/jne.12562?saml_referrer

Swaab (2007): https://www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S1521690X07000334

Zusammenfassung & Stellungnahme eines Transmannes: https://www.youtube.com/watch?v=6Avcp-e4bOs

Vielen Dank an Jamie und Estelle für die Hilfe!

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