Was würdest du tun, wenn Geld keine Rolle spielen würde?

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Ein Beitrag von unserer Reporterin Lisa Steffny

Der britische Schriftsteller T.E. Lawrence schrieb einst:  

„Alle Menschen träumen, aber nicht alle gleich. Die in der Nacht in den staubigen Winkeln ihres Gehirns träumen, wachen am Tag auf und wissen, dass es nur Schäume waren; aber die Tagträumer sind gefährliche Menschen, denn sie können ihre Träume mit offenen Augen leben, um sie in die Tat umzusetzen.“

Eine, auf die dieses Zitat zutrifft, ist Marthe-Victoria Lorenz. Mit gerade einmal Anfang 30 hat sie bereits zwei Unternehmen gegründet und damit ist noch lange nicht Schluss. 

Endlose Stunden, Tage, Wochen scrollte Marthe durch das Internet und arbeitete eine Jobbörse nach der anderen ab. Einige Jobs sagten ihr zumindest etwas zu, die meisten jedoch überhaupt nicht und egal, wie viele Stellenanzeigen sie las, der Funke wollte einfach nicht überspringen. Doch etwas nur des Geldes wegen zu machen, widerstrebte ihr auch. Lieber investiert sie ihre Zeit in Dinge, die sie liebt. Wie zum Beispiel dafür, sich in ihrem Basketball-Verein zu engagieren, wie sie es schon ihr halbes Leben macht. Deswegen lehnte sie sich zurück und fragte sich: „Wenn Geld keine Rolle spielen würde: Was würde ich dann tun?“ Eine Frage, die sie gehofft hatte, sich eigentlich nicht mehr stellen zu müssen. 

Zwölf Jahre früher, steht Marthe kurz vor ihrem Abitur. Ein klarer Plan für ihre Zukunft: Fehlanzeige. Stattdessen klickt sie sich durch Online-Tests, die ihr verraten sollen, was der perfekte Job für sie ist. Einmal kam Agrarwissenschaften dabei heraus. „Definitiv ein Fehler des Programms, absolut keine Ahnung, wie der Test darauf kam“, erzählt sie lachend. Bei einem anderen Test war das Ergebnis irgendwas mit Medien und so entschied sie sich schließlich dafür, Medienwirtschaft zu studieren. 

Ein paar Jahre später, jedoch ähnliche Szenarie. Die Bachelorarbeit stand an, doch so richtig fand sie kein Thema, für das sie wirklich brannte. „Irgendwann saß ich im Zug und blätterte durch das Times Magazin. Dort entdeckte ich einen Artikel über das Crowdfunding. In Deutschland war das zu dem Zeitpunkt erst langsam am Anlaufen. Neben meinem Studium arbeitete ich für einen Eishockey-Club, der zu der Zeit gleich mehrere Male hintereinander auf den Aufstieg verzichten musste, weil einfach die finanziellen Mittel fehlten. Da dachte ich mir: Hey, das wäre doch eine coole Sache für den Verein und schließlich entstand daraus mein Bachelorarbeitsthema.“ 

Bei ihrer Recherche stellte sie allerdings fest: So richtig viel zu dem Thema findet sie nicht. Als sie wieder mal verzweifelt auf der Suche nach Literatur war, um ihr Literaturverzeichnis zumindest ein wenig aufzufüllen, meinte ihre Mutter zu ihr: „Schade, dass es so wenig dazu gibt. Damit könnte man echt so viel Tolles machen, wenn die Infrastruktur da wäre.“ Da machte es bei Marthe klick und zum ersten Mal kam ihr der Gedanke: Ich könnte diejenige sein, die das Ganze aufbaut. Doch nach ein paar Gesprächen mit Freunden merkte sie schnell: Das ist doch schwieriger und vor allem teurer als gedacht und so verschwand die Idee erstmal wieder in den hintersten Winkeln ihres Gehirns. Eine Firmengründung war sowieso nie ihr Plan. Zu oft wurde ihr dafür im Studium eingebläut, dass sie irgendwann in einer leitenden Positionen tätig sein werde. Für sie war also klar, dass sie mal in einer Agentur oder in einem großen Unternehmen landen wird, also ging es erstmal mit dem Master weiter. 

Die Idee mit der Crowdfunding-Plattform ließ sie allerdings nicht los: „Ich fing an ein Konzept zu erstellen, stellte ein Team auf, dass allerdings nach und nach wieder aufhörte und schließlich schickte ich meine Idee willkürlich an alle möglichen Menschen, bis sich endlich jemand fand, der das Projekt gemeinsam mit mir umsetzen wollte. Mit Hilfe meiner Mutter nahmen wir einen Kredit auf und dann ging es los.“ Am Anfang versuchte sie noch Studium und Unternehmensgründung unter einen Hut zu bekommen, doch als sie zum wiederholten Male in einem Treffen ihrer Referatsgruppe saß, in dem es nur darum ging, zu überlegen, wann man sich für das Referat treffen könnte, fiel ihr die Entscheidung, dass Studium abzubrechen, dann doch recht leicht. 

Eine Entscheidung, die sie nicht bereute. „Fairplaid zu gründen, fühlte sich für mich an, als wäre ich endlich angekommen.“ Durch Fairplaid konnte sie zum einem den Sport, den sie so liebt, unterstützen und Vereinen ermöglichen, Projekte umzusetzen. Zum anderen fand sie dadurch aber auch endlich einen Ausweg aus ihrer größten Angst: „Bei jedem Praktikum merkte ich mehr, dass ein 9-to-5 Job, der mich nicht erfüllt, nicht das ist, was ich will. Der Gedanke daran bereitete mir regelrechte Schmerzen. Ich zählte nur die Minuten bis zum Feierabend und bei einem Praktikum hatte ich sogar so wenig zu tun, dass ich mir selbst das Programmieren mit Hilfe von Youtube Tutorials beibrachte.“ 

Die Firmengründung brachte jedoch neue Ängste mit sich: Die Angst zu versagen, die Angst, die Mitarbeiter*innen nicht bezahlen zu können und die Angst, dass die Idee am Ende doch nicht so erfolgreich wird. „Fairplaid war wie ein Baby für mich. Ich saß teilweise von 7 bis 23 Uhr im Büro und mein Leben bestand nur aus Arbeiten und Schlafen. Damals war alles noch neu für mich und ich war ja auch erst Anfang 20. Wenn es da mal so aussah als wäre das Geld fast alle, glich das einem Weltuntergang.“ Umso größer war die Erleichterung als am Ende doch alles so wurde wie erhofft. Doch im letzten Jahr war für Marthe dort Schluss: „Am Ende ist es wie mit einer Beziehung. Man steckt viel Liebe, Zeit und Herzblut hinein und trotzdem entwickelt man sich irgendwann auseinander. Bis ich das jedoch gemerkt habe und es mir wirklich eingestanden habe, vergingen noch eins, zwei Jahre, die weder mir noch Fairplaid wirklich gut taten. Auch wenn die Zuneigung bleibt: Am Ende war es für mich nach sieben Jahren das Richtige weiterzuziehen.“  

Quelle: Screenshot der Homepage https://klubtalent.org/

Als sie Fairplaid verließ, hatte sie keinen Plan B. Kein Jobangebot und keine Idee für ein neues Unternehmen. Die Frage hing also bedeutungsschwanger im Raum: „Wenn Geld keine Rolle spielen würde: Was würde ich dann tun?“ Für Marthe war die Frage recht schnell beantwortet: Sie würde am liebsten rund um die Uhr für ihren Basketball-Verein, für den sie ehrenamtlich im Vorstand aktiv ist und auch spielt, arbeiten. „Nachdem ich das eine Problem für mich gelöst hatte, tat sich ein ganz anderes auf: Mein Verein konnte es sich einfach nicht leisten, jemanden Hauptamtlich zu beschäftigen. Also rechnete ich aus Spaß mal nach, was passieren müsste, dass er es doch könnte. Schließlich spukte dann die Idee eines Art Vereins-Bafögs durch meinen Kopf. Was wäre, wenn man in Vereine investieren würde und sie es einem zurückzahlen würden, sobald sie florieren. Wie viele Arbeitsplätze könnte man schaffen? Was könnten Vereine alles an Projekten umsetzen, wenn jemand nicht nur sechs Stunden pro Woche ehrenamtlich, sondern 40 Stunden Vollzeit für sie arbeiten würde? Wie sehr könnten die Ehrenamtlichen entlastet werden? Und vor allem: Wie viele Menschen könnten wirklich das Arbeiten, worauf sie wirklich Lust haben?“ 

Die Idee zu Klubtalent war geboren und wieder mal ließ sie die Idee nicht los. Diesmal konnte sie jedoch auf ihre Erfahrungen von der ersten Gründung zurückgreifen. „Die Gründung von Klubtalent ist anders als die von Fairplaid. Nicht weniger aufregend, aber vermutlich etwas entspannter. Ich bin nicht mehr so ein Workaholic und gönne mir auch mal Pausen, wenn ich sie brauche. Definitiv gerate  ich auch nicht mehr so leicht in Panik, wenn es mal vermeintlich nicht so gut aussieht.“ Bevor es jedoch zur Umsetzung kommen sollte, wollte sie erstmal Reisen anstatt sich gleich in das nächste Projekt zu stürzen. Doch dann kam Corona und nur Däumchen drehen ist dann doch nicht Marthes Ding. Mittlerweile ist Klubtalent angelaufen, die Website wurde gelauncht, die Gründung besiegelt und die ersten Pilotvereine gefunden. Allerdings soll das erst der Anfang sein: „Langfristig gesehen wollen wir erst allen Sportvereinen und dann Vereinen jeglicher Art dabei helfen, Hauptamtliche zu engagieren. Und wer weiß, vielleicht können wir irgendwann auch außerhalb der deutschen Grenzen expandieren. Wenn alles so läuft wie erhofft, könnten so rund 600.000 neue Arbeitsplätze geschaffen und mindestens ebenso viele Menschen glücklich gemacht werden.“ 

Foto: Joanna Naoumis

Dabei gehört Marthe als Vorsitzende in einem Sportverein und als Firmengründerin gleich in doppelter Hinsicht einer Minderheit an. In den meisten ehrenamtlichen Vorständen im Sport sind Frauen häufig unterrepräsentiert, nur selten wird ein Anteil  von mehr als 30 Prozent erreicht. Bei den Gründungen sind die Zahlen sogar noch dramatischer. In Deutschland sind nur 4% der Start-Up Gründer*innen weiblich. Bei immerhin 10% der Firmen ist zumindest eine Frau im Gründungsteam. Für Marthe war das jedoch kein Thema bei ihrer Gründung: „Der Gedanke nicht zu gründen, nur weil ich eine Frau bin, kam mir zu keinem Zeitpunkt in den Sinn. Warum auch? Erst als ich als Fairplaid-Gründerin meine ersten Interviews gegeben habe und wirklich jedes Mal darauf angesprochen wurde, wie es denn sei als Frau ein Unternehmen zu gründen, wurde mir bewusst, dass es wohl als etwas außergewöhnliches angesehen wird und ich dachte mir nur: Wirklich? Das ist für euch das Interessanteste an meinem Projekt?“  

Dabei gibt es viele potenzielle Gründe, warum Frauen nicht den Schritt zur Unternehmensgründung wagen: fehlender Mut, Perfektionismus, ein unzureichendes Netzwerk, die Unvereinbarkeit von Karriere und Familie… Der letzte Punkt spielte auch für Marthe eine entscheidende Rolle: „Mit Anfang 20 war ich mir sicher, dass ich mit Ende 20 gerne Kinder haben möchte. Ich rechnete damit, dass eine Unternehmensgründung mit allem drum und dran und bis es mal wirklich richtig läuft ungefähr fünf Jahre in Anspruch nehmen wird. Da war für mich klar: Jetzt oder nie.

Den Kinderwunsch hat sie erstmal hintenangestellt, doch auch mit Klubtalent soll nicht Schluss sein. „Ich arbeite momentan noch parallel an einer Systematik, wie das Glück des Individuums mehr in den Vordergrund gerückt werden kann. Klar, Zeit ist Geld, aber wenn wir überlegen: Was macht uns wirklich glücklich? Geld oder doch eher Zeit mit Freunden, Zeit für ein gutes Buch oder Zeit für sich selbst? Deswegen bin ich auf der Suche nach einer effizienten Möglichkeit, möglichst wenig Zeit mit Pflichtaufgaben verbringen zu müssen, dafür aber mehr Zeit für die Dinge zu haben, die einen wirklich glücklich machen.“ Und auch der Sport lässt sie nach wie vor nicht los: „Wir sind gerade auch dabei ein Projekt aufzubauen, um für mehr Chancengleichheit im Sport zu sorgen. Der Sport bietet soviel Potenziale, vermutlich mehr als viele andere Lebensbereiche, aber an der ein oder anderen Stelle kränkelt er noch etwas. Das wollen wir ändern.“ Als besonders sozial würde Marthe sich jedoch nicht bezeichnen. Mit einem Augenzwinkern verrät sie: „Zum Altruismus gehört auch immer eine große Portion Egoismus.“ Für Klubtalent heißt das: Sie kann wieder das tun, was ihr am meisten Freude bereit – den ganzen Tag mit Vereinen arbeiten. Und wenn sie damit dazu beiträgt, Vereine und ihre Mitarbeiter*innen glücklich(er) zu machen umso besser.  

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