Credit: Leonie Hartge
Credit: Leonie Hartge

Zwischen Gebeten und Rotwein

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Nonnen? Das bedeutet merkwürdige Klamotten, konservative Haltungen und strenge Regeln. Und natürlich: Kein Sex. Zumindest dachte das unsere Autorin Leonie bevor sie für 6 Wochen bei dem katholischen Schwesternorden von Saint André einzog und dort eine ganz andere Erfahrung machte.

Die Unterhaltung, die bis vor einige Momente noch einer intensiven Diskussion glich, brach so abrupt ab, dass ich mich zurückhalten musste, bevor mir ein weiteres Argument herausplatzten würde. Die Schwestern haben ihren Kopf geneigt, ihre Augen geschlossenen. Die Stille des Moments stand so sehr Kontrast zur aufgewühlten Konversation, dass ich verwirrt war, ob nun eine Reaktion von mir erwartet wurde. Doch dann brach die Leiterin des Hauses das Schweigen und begann, langsam auf französisch zu sprechen. Die anderen Schwestern stiegen ein und murmelten gemeinsam in einem monotonen Singsang. Die Französisch-Kenntnisse, die mir aus der zehnten Klasse geblieben waren, sind sehr begrenzt. Also saß ich am Tisch und versuchte, mir zu erschließen, was die Worte wohl zu bedeuten hatten. So abrupt wie der Beginn des Gebetes war auch sein Ende. Die Jüngste der Fünf, Schwester Agnes, sprang auf, stapelte die Teller und bedeutete mir, ihr in die Küche zu folgen. Dort war schon nach kurzer Zeit eine angeregte Diskussion im vollen Gange, während die Teller des Abendessens gespült wurden. 

Eigentlich wollte ich doch nur für ein Semester nach Brüssel ziehen. Nach dem Abitur hatte ich für zwei Monate in einer Suppenküche in Brüssel ausgeholfen und mich in die Stadt verliebt. Als dann Corona einschlug und klar wurde, dass wohl in naher Zukunft erstmal keine Uni in Trier mehr stattfinden würde, stellte sich für mich schnell eine Fragen, die viele Studierende umtrieb: Warum sollte ich in Trier bleiben? 

Also entschied ich mich, den zweiten Lockdown zu nutzen, um zur Abwechslung in Brüssel drinnen zu sitzen, nebenbei mein Französisch aufzubessern und in diesem Projekt für Obdachlose auszuhelfen. Die einzige Frage, die blieb, war: Wo würde ich wohnen? Der Wohnungsmarkt in Brüssel ist – wie in vielen europäischen Städten – angespannt. 

Bis mir Schwester Bep, eine Nonne, die ich von meinem ersten Mal in Brüssel kannte, vorschlug, bei ihr und ihren Schwestern einzuziehen. Eine kleine Maisonette Wohnung in ihrem Haus stünde grade leer und sie würden sich freuen, mich empfangen zu können.

Würden die Schwestern erwarten, dass ich Interesse habe ihrem Orden beizutreten?

Würden die Schwestern erwarten, dass ich Interesse habe ihrem Orden beizutreten?Würde ich wirklich selbstständig sein können? Und müsste ich mich aktiv am religiösen Leben der Schwestern beteiligen? 

Doch dieses Angebot bot viele Vorteile: eine günstige Miete, eine Wohnung mitten in der Metropole und die Möglichkeit, einen komplett anderer Lebensstil kennenzulernen. Die Neugier trieb mich zu einer Zusage.

Obwohl ich schon einige Schwestern in meinem Leben kennengelernt hatte, tauchten in meinem Bild von Nonnen immer noch viele Stereotypen auf: Merkwürdige Klamotten, konservative Haltungen und strenge Regeln. Und natürlich: Kein Sex.

Merkwürdigerweise ist es bei dieser komplexen und radikalen Lebensweise von Religiösen Schwestern und Brüdern oft nur vom Zölibat die Rede. Und von den drei Gelübden: Enthaltsamkeit, Gehorsamkeit und Armut. Dazu verpflichten sich alle Schwestern wenn sie dem Orden von Saint André beitreten. Der Verzicht steht im Vordergrund.

Merkwürdige Klamotten, konservative Haltungen und strenge Regeln. Und natürlich: Kein Sex.

Doch genau dieser Verzicht fasziniert auch. Ist nicht Minimalismus und nachhaltiger Konsum auch das Mantra unserer Generation? 

Die Definition der Armut wiederum liegt im Auge des Betrachters: Das Haus der Schwestern von Saint André mit den fünf Schwestern steht in einem der schicksten Viertel von Brüssel. Zu den Nachbarn zählen zwischen Ärzten und Anwälten, auch EU-Abgeordnete und Diplomaten. Wann immer die Sprache auf die Lage des Hauses kommt, ist dieser Umstand den Schwestern sichtlich unangenehm. Es ist schon seit vielen Jahrzehnten im Besitz des Ordens. Bald wollen sie das Haus verkaufen und in ein Brennpunktviertel ziehen, sagen sie, um an einem Ort zu sein an dem sie gebraucht werden.

Ist nicht Minimalismus und nachhaltiger Konsum auch das Mantra unserer Generation? 

Auf meine Frage welches der Gelübde ihr in den ungefähr 40 Jahren als Schwester am schwersten gefallen war, antwortete sie ohne zögern: Die Gehorsamkeit. Denn die Kontrolle über die wichtigsten Entscheidungen in ihrem Leben abzugeben, wäre ihr nicht immer leichtgefallen. Ihr Orden könnte sie noch am selben Tag von ihrer Stelle, und damit ihrem Leben in Brüssel, versetzten. Da hat sie selbst formell nichts mitzureden. Warum würden man sich für einen solchen Kontrollverlust freiwillig entscheiden? Sie entgegnet, dass das Vertrauen in ihre Schwestern und, ja auch auf Gott, eine große Rolle für sie spielen. Und manchmal wäre es vielleicht auch ganz gut nicht das letzte Wort in diesen Entscheidungen zu haben, sagt sie.

Nach erfolgreicher Quarantäne nahm ich immer mehr am Leben im Haus teil. Inklusive abendlichen Brettspielen und Diskussionen am Abendbrottisch. Die Ausgangssperre und der Pandemielage insgesamt verhinderte die Frage nach spätem Heimkommen. Doch Alkohol war schon eine Frage: Nach zwei Wochen fragte mich meine Mutter, ob es denn überhaupt erlaubt wäre dort Alkohol zu trinken. Ich musste ein Lachen unterdrücken und dachte an das Mittagessen am vorherigen Sonntag. Ich war mitten in der Prüfungsvorbereitung und hatte mich den Schwestern zum Mittagessen angeschlossen. Um halb eins wurde mir da ein Glas Rotwein angeboten.  Als ich lachte und dankend ablehnte wurde noch zweimal versichernd nachgefragt ob ich den wirklich nichts trinken möchte.

Insgesamt brechen die Schwestern mit vielen meiner anfänglichen Erwartungen: Schon seit einigen Jahrzehnten tragen die Schwestern von Saint André keinen klassischen Habit mehr. Nur eine kleine Brosche über dem Herzen erinnert an ihre Berufung. Deshalb fallen sie auch im Stadtbild nicht mehr auf.

“Einmal bin ich während der Predigt aus einem Gottesdienst gegangen und in dem Moment hätte ich gerne einen Habit angehabt. Dann hätten alle gesehen ‘Oh wow, da geht eine Schwester, weil sie mit dem Gepredigten nicht einverstanden ist.’ Ich glaube, wir sollten erkennbar sein, damit uns auch Menschen auf der Straße erkennen und ansprechen können.” Sagt Schwester Bep. Doch das wäre ein schwieriger Balanceakt.

Zwischen erkennbar und auf ein Podest gestellt laufe häufig eine feine Linie.  Und auf ein Podest gestellt werden wollen die Schwestern auf keinen Fall. Sie sind zum Anfassen da. Sie wollen als reale Menschen gesehen werden, nicht als mystifizierte Wesen mit Supermächten. Frauen mit eigenen Meinungen zu Geflüchteten, der Politik und der Rolle der Frau in der Kirche.

Schon schnell fühlte ich mich im großen Stadthaus ganz wie zu Hause. Auf dem langen weg ganz nach oben unter das Dach lief ich den Schwestern häufig über den Weg und wurde von ihnen hin und wieder zum Gebet oder zum Essen eingeladen. Die Gebete fand ich zu Beginn etwas gewöhnungsbedürftig. Da sowohl die Texte als auch die Lieder auf französisch waren, war an inhaltliches mitkommen sowieso nicht zu denken. Also lies ich mich von Gesängen und der Stille einfach berieseln.

Und fand nach anfänglicher Anspannung das Gefühl von Ruhe wieder, das ich während der Pandemie so sehr vermisst hatte.

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