Credit: Hanna Hauten

Das ist kein Kompliment

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 „Von weitem siehst du echt zu männlich aus, aber so bist du ja ganz hübsch.“

Wir treffen uns zum Ankreiden in der Fleischstraße. Dem Ort, an dem einer Frau diese Worte zugeraunt wurden. Hanna und Lisa, auf Instagram @cat.callsoftrier, bringen diesen Catcall nun wieder auf die Straße. Der Plan: erst ankreiden, dann quatschen.

Catcalling = verbale sexuelle Belästigung auf offener Straße wie das Hinterherrufen, Anhupen oder Kussgeräusche durch Männer gegenüber Frauen. Der Begriff stammt aus der englischen Umgangssprache.

Ankreiden = die Aussage mit Kreide an der Stelle auf die Straße schreiben, an der der Catcall stattgefunden hat.

Die beiden rauchen noch eine. Wir quatschen über Uni, Corona und Trier. Lisa und Hanna sind noch nicht allzu lange hier. Sie sind fürs Studium hergezogen. Ich frage, wie sie darauf gekommen sind, ihren Instagram Account @cat.callsoftrier zu starten. Die Antwort: Sie wollen sich für feministische Themen einsetzen. Was heißt das? Was trägt das Ankreiden von Catcalls zum Kampf für die Gleichberechtigung von Mann und Frau bei?

Seit mehr als 50 Jahren bringt die Frauenbewegung in Deutschland sexuelle Gewalt im privaten wie öffentlichen Raum an die Öffentlichkeit. Durch sie sind Abtreibungen nicht mehr verboten, Scheidungen führen nicht mehr zwangsläufig zur Existenznot. Und auch die Vergewaltigung in der Ehe steht seit 1997 unter Strafe.  

Frauen und Männer sind heutzutage zwar rechtlich gleichgestellt, aber wir leben keinesfalls in einem feministischen Paradies. Frauen werden schlechter bezahlt, sollen sich nicht so freizügig anziehen, kümmern sich selbstverständlich um Haushalt und Kinder, wodurch sie einem größeren Risiko der Altersarmut ausgesetzt sind. So wird häufig argumentiert, es gebe doch wohl größere, wichtigere Baustellen als das Hinterherpfeifen, um die strukturelle Unterdrückung von Frauen zu bekämpfen. Was bringt da das Ankreiden?

„Stell dich nicht so an, so schlimm ist das doch nicht. War doch als Kompliment gemeint.“

Catcalls sind keine Komplimente. Catcalls sind verbale sexuelle Belästigungen. Und verbale sexuelle Belästigungen bereiten den Weg zur Gewalt. Jedes Wort, jeder Pfiff stärkt eine Kultur, in der Frauen Objekte sind. Objekte, mit denen man letztendlich machen kann, was man will: anfassen, schlagen, vergewaltigen. Sie sind die Grundlage für sexistische Handlungen und Gewalt gegen Frauen.

Die Folgen von Sexismus wie der schlechteren Bezahlung von Frauen werden immer häufiger thematisiert. Das ist unglaublich wichtig und gut. Trotzdem müssen wir als Gesellschaft und die Politik anerkennen, dass dies nur die Spitze des Eisbergs ist. Sexualisierung von Frauen in der Werbung, Mansplaining und eben auch Catcalls bilden die Basis dafür. Sie erschaffen und reproduzieren eine Gesellschaft, in der Frauen hauptsächlich dazu da sind, Männern zu gefallen. Dieser alltägliche Sexismus bildet das Fundament für Frauenhass, Vergewaltigungen, häusliche Gewalt. Gerade deshalb ist es wichtig, auch über Catcalling zu sprechen und Aufmerksamkeit zu schaffen.

Credit: Hanna Hauten

Lisa und Hanna wollen genau das: Aufmerksam auf die verbale sexuelle Belästigung machen, denen Frauen in Trier ausgesetzt sind. Sie holen das, was in der Öffentlichkeit passiert, wieder in die Öffentlichkeit. Sie wollen ein Bewusstsein dafür schaffen, dass sich Frauen durch Catcalls eben nicht geschmeichelt, sondern unwohl fühlen, sich ekeln, sich vorgeführt fühlen. Sie wollen verdeutlichen, dass Frauen keine Objekte sind.

Außerdem kämpfen sie dafür, Catcalling strafbar zu machen. Denn Catcalling ist in Deutschland noch immer kein Straftatbestand. Während in Frankreich Catcalling mit bis zu 750€ geahndet wird, gilt hierzulande sexuelle Belästung erst dann als solche, wenn es Körperkontakt gibt. Auch in Portugal, den Niederlanden und Belgien ist Catcalling illegal. In Deutschland liegt die Petition „Es ist 2020. Catcalling sollte strafbar sein.“ inzwischen dem Petitionsausschuss des Bundestags vor. Wann der Ausschuss zu einer Entscheidung kommt, ist noch unklar.

Ein Gesetz, das Catcalling strafbar machen würde, würde uns Macht zurückgeben und ein Gefühl der Sicherheit mit sich bringen. Außerdem hätte es eine enorme Symbolkraft: Catcalling ist kein Kompliment und Sexismus hat bei uns keinen Platz.

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