Kein Platz für Generation Haram?

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Zu Weihnachten habe ich von meiner besten Freundin das Buch „Generation Haram – warum Schule lernen muss, allen eine Stimme zu geben“ von Melisa Erkurt bekommen. Es behandelt das Thema Bildungs(un)gerechtigkeit  und bezieht sich auf Österreich, doch viele dort beschriebene Problematiken finden sich auch im deutschen Bildungssystem wieder.

Melisa Erkurt, eine ehemalige Lehrerin und Journalistin mit bosnischem Migrationshintergrund, erzählt anhand vieler persönlicher Beispiele über Ungerechtigkeiten im Bildungssystem und macht dabei einen Rundumschlag zu antimuslimischem Rassismus, Interkulturalität, Sexualität, Feminismus, der Kopftuchdebatte und sozialem Aufstieg. Ich mag Buchempfehlungen eigentlich nicht, aber wenn euch das Thema interessiert, kann ich dieses Buch sehr empfehlen. 

Viele beschriebenen Erfahrungen, die sie selbst oder im Gespräch mit ihren Schüler:innen gesammelt, ähneln Situationen, die ich in meinem Praktikum in einer Grundschule in Trier oder im Rahmen meines sozialen Engagement im Bildungsbereich erlebt habe.

 „Puh, wenn ich das auch noch hätte“, war zum Beispiel der Kommentar einer Lehrerin auf meine Frage, ob sie auch Kinder mit Migrationshintergrund in ihrer Klasse hatte und ich frage mich, ob sie nicht sieht, wem sie das gerade sagt. Mir, die auch mal ein Kind mit Migrationshintergrund war.

„20 von 25, die kein Deutsch zuhause sprechen“, sagte die Lehrerin in einem Ton, der andeuten lässt, dass es keine positive Überraschung für sie ist, nachdem die Klasse eine Runde gemacht hat, in der die Kinder erzählten, welche Sprache sie zuhause sprechen.

Und ich frage mich: Warum reden wir so über diese Kinder? Warum wird über sie pauschal als Problemfälle gesprochen? Warum wird eine zweite Sprache, eine zweite Kultur, in der sie aufwachsen als ein Hindernis gesehen? Als etwas, das sie ausgleichen müssen, statt als Ressource gesehen?

Auf LinkedIn flexen alle mit ihren Sprachkenntnissen und ihren Auslandsaufenthalten – so auch ich. Studis freuen sich über die coolen neuen Erfahrungen in einer anderen Kultur, die sie während Erasmus machen. Interkulturelle Kompetenz ist ein schönes und gern genutztes Wort in Jobanzeigen. Alle suchen „flexible Mitarbeiter:innen“ doch wer ist flexibler, als eine Person, die mit zwei Kulturen aufwächst? Also warum wird immer über sie gesprochen, als wären sie eine Last?

Ich werde nie vergessen, wie sehr sich eine Schülerin in der ersten Klasse über mein A1-Russisch gefreut hat. Ganz begeistert sagte sie: „Soll ich dir noch mehr beibringen?“ Einer anderen musste ich jede Woche meine Russischfortschritte berichten, die sich mittlerweile langsam auf A2 zu bewegen. Dass ihre Bilingualität als Talent statt als Defizit wahrgenommen wird, stärkt ihr Selbstbewusstsein.

„Aber wie hast du das geschafft, so gut Deutsch zu können?“, fragt mich eins meiner Lieblingskinder. Ihr fällt es noch schwer, sie hat Probleme mit den Artikeln und spricht Sachen ab und zu falsch aus. Dafür kann sie Kurdisch. Ich erzähle ihr lange davon, wie ich nur mit den Worten „Hallo, wie heißt du?“, in den Kindergarten kam, wie ich mich in der Grundschule bei jedem Wort, das ich nicht kannte, meldete und nachfragte. Es waren viele unbekannte Worte und manchmal kannte ich Worte in den Erklärungen nicht und wir kamen sehr weit vom Thema ab. Am Ende lachte sie, und ich spürte, wie wichtig es war, dass da jemand war, der sie in der Hinsicht verstand.

Bildungsgerechtigkeit ist ein großes Thema, aber vielleicht sollten wir dabei ansetzen, Migrationshintergründe nicht mehr pauschal als Problem anzusehen, weswegen diese Kinder weniger wert sind. Sondern ihr Selbstbewusstsein stärken, indem wir anerkennen, was für eine Leistung es ist, in jungen Jahren mehrere Sprachen fließend zu sprechen.

Beitragsbild: Jerry Wang via Unsplash

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