Nicht nur für mich

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Samstag Abend im Lockdown. Die Wärmflasche neben mir und das Glas Rosé, das ich mit meiner Mitbewohnerin getrunken habe, lassen mich innerlich wie äußerlich nicht frieren.

Noch vor ein paar Monaten bräuchte es weitaus mehr als ein paar Tropfen Alkohol, um mich angeheitert sein zu lassen. Nicht, dass mein Alkoholkonsum überdurchschnittlich war (zumindest nicht für eine Studentin).

Noch vor ein paar Monaten war alles ganz anders. Nicht nur für mich, das ist mir klar.


“Jeden Tag in der Quarantäne trinken wir Sekt.” – Wir starten lachend in eine Zeit, die wir für eine auf zwei Wochen, maximal vier Wochen begrenzte Zeit halten. Wir arbeiten von zu Hause, wir machen Sport mit Pamela Reif, wir hängen unsere Wäsche im Zimmer meines Mitbewohners während er bei seinen Eltern Unterschlupf findet. In der Aprilsonne sitzen auf dem Balkon und können kaum fassen, dass etwas Unsichtbares für einen Kopfstand der Welt sorgt. Nicht nur für uns, das ist uns klar.

Wir klatschen (okay, ich klatschte alleine – meine Mitbewohnerin fand es albern) für das Pflegepersonal, die Ärzt:innen und die Kassierer:innen. Davon können sie sich auch nichts kaufen, das ist mir klar.

Ich rufe meine Eltern an und verkünde, in der nächsten Zeit erst einmal nicht nach Hause zu kommen. Meine Mutter hat Angst, sie könnte infiziert sein, weil ein Bekannter einer Bekannten infiziert ist. Mein Vater wird sauer, wenn das C-Wort fällt. Legt auf und möchte nichts von einer Pandemie hören. Mein Bruder unterbindet ein Gespräch diplomatisch: moralische Unterstützung soll ich bei Freund:innen und Kolleg:innen suchen. Der Kontakt “nach Hause” verlangt mir einiges ab. Nicht nur mir, das ist mir klar.

Der Sommer lässt uns Hoffnung und wieder mehr Kontakte spüren.

Der Herbst das Gegenteil.

Inzidenzzahlen steigen, in voreiligem Optimismus geplante Besuche bei Freunden in anderen Städten finden nicht statt. An ihrer Stelle ein zweiter Lockdown.

Dieses Mal ist es anders. Nicht nur für mich, das ist mir klar. Ich gehe nicht jeden Tag joggen und auch nicht einmal in der Woche wandern. Dieses Mal ist nicht ein kleiner Rest Kreativität für die Zeitgestaltung übrig. Ich habe Kopfschmerzen von den Gedanken, die Tag und Nacht durch meinen Kopf rasen und mich in dem Moment, in dem ich das hier schreibe, anschreien, dass es verdammt nochmal nicht nur mir so geht. Und, dass es anderen noch viel beschissener geht.

Trotzdem:

Ich weiß, dass es mir schlecht geht. Dass ich Jobs verloren habe, Praktika abgesagt wurden, Reisen auf ungewisse Zeit aufgeschoben wurden und Veranstaltungen nicht stattfinden konnten. Dass es mir vielleicht mehr, vielleicht ja auch weniger als anderen ausmacht, nicht jeden Tag neue Gesichter kennen zu lernen. Dass ich doch 2020 zu “meinem Jahr” machen wollte. Dass es mir eine Scheißangst macht, einerseits nicht zu wissen, wie es in den nächsten Monaten für mich weitergeht und andererseits darauf hoffe, dass mein Opa nicht auch noch die nächsten Wochen auf der Intensivstation verbringt. Dass ich Menschen, die sich über die “Entschleunigung” gefreut haben, rütteln will. Dass ich nach sozialen Interaktionen wie eine ausgetrocknete Blume auf Wasser dürste und mich doch zurück ziehe. (Dass ich meine Vergleiche als selten pathetisch empfinde und mich dennoch zeitweise darin suhle). Wer bin ich schon ohne die Verbindung zu anderen?

Alles das sind Luxus-Probleme, das ist mir klar. Die Zeiten sind schwer. Nicht nur für mich, das ist mir klar.

Aber eben auch für mich.

Auch für dich?

Lass’ es zu, dich und deine Sorgen ernst zu nehmen. Trotz des Wissens um andere Menschen, denen es unter Umständen schlechter geht, dich für deine Empfindungen nicht zu verurteilen. Probleme liegen im Auge des:der Betrachters:Betrachterin, sind subjektiv. Gib’ dir Raum, schenk’ dir Liebe. Achte auf dich und deine (mentale) Gesundheit.

Seek help?

https://www.who.int/docs/default-source/coronaviruse/mental-health-considerations.pdf?sfvrsn=6d3578af_10

https://www.infektionsschutz.de/coronavirus/psychische-gesundheit.html

https://www.zusammengegencorona.de/informieren/psychisch-stabil-bleiben/

Beitragsbild: Photo by Sinitta Leunen on Unsplash

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