2022. Ein neues Jahr, ein weiteres geprägt von Covid-19. Wie läuft die Uni?
Nach dem Abitur oder Bachelorstudium umziehen, eine neue Stadt erleben, Menschen kennen lernen. Einen neuen Lebensabschnitt wagen und sich ein Stück mehr selbst entdecken. Soweit der Plan. Und die Realität? Seit mehr als einem Jahr spielt sich unser Leben zu großen Teilen digital ab: Home Office, Zoom-Konferenzen, digitales Studieren. Was macht das mit den Menschen, die die Stadt Trier und ihr Universität dort erleben woll(t)en?
So startete ein Beitrag über vier Studentinnen, die frisch zur Pandemie in ihr Studium gestartet sind. Für diesen Text, ein Follow-Up darüber, wie die Studentinnen Leonie und Maybritt ihren Studienalltag inzwischen leben und wahrnehmen, habe ich nur ein paar einzelne Worte geändert. Zwar gibt (oder gab) es Kombinationen aus Uni in Präsenz und digital, hier und da eine Kneipentour oder ein Kennenlernen der Kommiliton:innen, aber der Uni-Alltag ist nach wie vor geprägt von Impfstatus-nachweisen oder Selbstteststäbchen in der Nase hin und her bewegen.
Dieses mal kommt eine weitere Perspektive dazu: Wie ist die digitale Lehre für Lehrpersonen?
Außerdem habe ich mit Prof. Dr. Marc Weinhardt gesprochen. Er hält die Professur für die Abteilung Sozialpädagogik I im Fachbereich l und – es ist wohl keine Überraschung – auch er hat die digitale Lehre satt.
Disclaimer vorab: Die Interviews fanden Ende November 2021 statt.
Wie läuft euer Studium? Was würdet ihr euch anders wünschen?
Leonie: Mein Studium läuft gut, ich habe alle Seminare in Präsenz – das finde ich sehr angenehm. Ich würde mich aber auch über Vorlesungen in Präsenz freuen. Das ist das einzige, was ich mir anders wünschen würde. Es wäre auch schön, wenn die Profs manchmal mehr Verständnis hätten, dass man Stress hat und ein Leben außerhalb der Uni.
Maybritt: Mein Studium war sehr stressig in letzter Zeit. Zu denken, ich muss in Regelstudienzeit fertig werden, war ein Stressfaktor. Alle meine Kommiliton:innen denken oder dachten darüber nach, das Studium abzubrechen, weil es so stressig war – auch ich. Ich habe einen intensiven Kurs abgegeben, das hat mir eine Last von den Schultern genommen. Jetzt bin ich damit entspannter. Es ist eigentlich lächerlich, wie viel Druck ich mir mache – eigentlich wir alle! Aber man vergleicht sich ganz schnell.
Wäre der Plan für euer Studium ohne Pandemie (ganz) anders?
Leonie: Ich glaube, meine Planung wäre auch ohne Corona ziemlich ähnlich. Im ganzen Studium habe ich mich nicht an daran gehängt, ob Formate in Präsenz oder digital stattfinden. Ich schaue Vorlesungen zum Beispiel immer, wann sie eben auch in Präsenz wären. Dadurch hatte ich nie etwas, das zeitlich gar nicht geklappt hat.
“Die Uni hat inzwischen mehr Plan davon, wie es digital funktionieren kann. Ich aber auch. Ich glaube, wir sind alle besser darin geworden, uns auf Veränderung einzustellen.”
Leonie
Ich glaube, die Uni hat inzwischen mehr Plan davon, wie es digital funktionieren kann. Ich aber auch. Ich glaube, wir sind alle besser darin geworden, uns auf Veränderung einzustellen. Sowohl die Uni als auch wir Studis sind flexibler geworden. Obwohl ich es eigentlich hasse, flexibel sein zu müssen. Ich brauche eher viel Planung.
Maybritt: Für mich wirkt es in den letzten Monaten eher normal. Zumindest mehr so, wie ich mir das Studium vorgestellt habe. Fast alle meine Kurse sind vor Ort, weil wir nur so eine kleine Gruppe sind. Das finde ich super. Von den 17 Leuten, mit denen ich angefangen habe, sind noch 15 dabei. Da fühle mich ehrlich gesagt nicht unsicher und habe Vertrauen in alle vor Ort. Einen Kurs habe ich online, allerdings weil der Tutor in Albanien ist und sich dann eben dazu schaltet. Vielleicht wäre das auch in Präsenz, wenn er in Trier wäre. Fast alles vor Ort zu haben, finde ich echt schön. Es tut total gut.
Wie wohnt ihr inzwischen und wie sieht es aus mit sozialen Kontakten?
Leonie: Ich wohne noch in der gleichen WG, seit ein paar Monaten aber mit einer neuen Mitbewohnerin. Mit ihr läuft es ganz gut. Mit Kommilitonen treffe mich ab und zu, schränke das aber diesen Monat angesichts der Zahlen ein. Ich bin außerdem nicht so gern dabei, wenn sich Leute treffen, um sich zu besaufen. (Schon gelesen? “Ohne Rausch durchs Studium“)
Maybritt: Ich bin im Frühjahr aus meiner alten WG ausgezogen, weil wir aus der Wohnung rausmussten. Untereinander haben wir uns aber immer gut verstanden. Ich bin nach wie vor richtig happy mit meiner WG. Einerseits ist die Wohnung jetzt zentraler und mein Zimmer günstiger und größer. Andererseits sind meine Mitbewohner echt super. Ich hatte zwar vorher meine Freundesgruppe, aber inzwischen auch mehr mit meinen Kommiliton:innen zu tun. Gemeinsam unterwegs sein und so – im September und Oktober hat es sich wirklich nach Studium angefühlt.
“Gemeinsam unterwegs sein und so – im September und Oktober hat es sich wirklich nach Studium angefühlt.”
Maybritt
Was sind eure aktuellen Lieblingsorte?
Leonie: Mein aktueller Lieblingsort? Dafür bin ich nicht genug draußen (lacht). Aktuell würde ich sagen: mein Sofa.
Maybritt: Der Kreuzgang ist immer noch mein Go-To, um abzuschalten und runterzukommen. Es ist ein ruhiger Ort so in der Stadt. Das Moselufer mag ich immer noch, aber der Kreuzgang ist definitiv auf Platz Eins.
Wann kamst du nach Trier und wie war der Start an der Uni für dich?
M.W.: Im April 2020 bin ich auf die Professur [Sozialpädagogik l, FB] berufen worden. Auf einem desinfizierten Wagen haben der Präsident und ich die Dokumente hin und hergeschoben. Ein Kaltstart war es nicht, denn das Arbeitsfeld kannte ich schon. Ich habe sehr davon profitiert, dass ich Universität an sich und unser Fach sehr gut kannte.
“Auf einem desinfizierten Wagen haben der Präsident und ich die Dokumente hin und hergeschoben.”
Prof. Dr. Marc Weinhardt
Wie nimmst du die digitale Lehre wahr?
M.W.: Zu diesem Wintersemester sind wir in Trier mit einer relativ niedrigen Inzidenz gestartet. Daher haben wir zum Anfang des Semesters eine Präsenz-Politik ausgerufen: Seminare sollen in Präsenz stattfinden. Bei steigenden Inzidenzen bleibt aber offen, was schließen muss. Wieder die Bildungseinrichtungen? Das nehme ich mit Sorge wahr. Solange es gut vertretbar ist, wollen wir bei Präsenz bleiben. Studierende erlebe ich als extrem kompromissbereit. Seminargruppen finden sich lieber in Präsenz im etwas ungemütlichen, aber großen Hörsaal ein, als auf den persönlichen Austausch zu verzichten. Ich habe auch nicht den Eindruck, dass Studierende in den Veranstaltungen maskenmüde sind. [Nur die sprechende Person darf zum Zeitpunkt des Interviews die Maske absetzen.]
Eine Studentin sagte zum Thema digitale Lehre, die Uni sei nicht verlorener als sie selbst. Was sagst du dazu?
M.W.: Das ist ein super Zitat. Das würde ich so unterschreiben. Formal ging der Umstieg auf digitale Formate schnell, aber hochschulübergreifend habe ich den Prozess als chaotisch und belastend erlebt. Das war eine Art Reallabor zum Zustand der Digitalisierung in Deutschland. Viele Fragen sind aufgetreten zum Beispiel in Sachen Mikrofon- und Kamerabeschaffung, Datenschutz, einer Screen-Policy [Darf man verlangen, dass Teilnehmer:innen eines Seminars die Kamera anhaben?]. Es gab auch keine Seminarräume mit Kameraausstattung wie vielleicht bei anderen Universitäten. Mir persönlich hat es geholfen, auch privat relativ medienaffin zu sein. Durch private Urlaubs VLOGs ist mir die Situation vor der Kamera nicht fremd. Themen der Digitalität gehören außerdem auch zu meinem Forschungsinteresse und Wissenschaftskontext. Nur die Verbindung zu meinem Wissenschaftsalltag war eben neu. Auf der Seite der Studierenden ist eine Kultur der Sensibilität und der Vielfalt gewachsen: sie erwarten nicht mehr von jeder Lehrperson, Veranstaltungen genauso zu machen, wie andere. Die kennen unterschiedliche Digitalitätsstile.
“Formal ging der Umstieg auf digitale Formate schnell, aber hochschulübergreifend habe ich den Prozess als chaotisch und belastend erlebt. Das war eine Art Reallabor zum Zustand der Digitalisierung in Deutschland.”
Prof. Dr. Marc Weinhardt
Die eigenen Lehrveranstaltungen digital aufzustellen klingt nach viel Aufwand.
M.W.: Als Lehrperson ist es ein furchtbarer Zeitaufwand, viel mehr als vorher. Die Kolleg:innen, die sich reingekniet haben, hatten brutale private Einschnitte im Zeitbudget. In unserem Fach hat niemand nur Dienst nach Vorschrift gemacht.
Hattest du selbst private Einschnitte dadurch?
M.W.: Ja. Viele Dinge haben mir gefehlt. Sport und Freunde weniger zu sehen, war ein Stück Lebensqualität. Enger wissenschaftlicher Austausch mit Kolleg:innen, von denen viele irgendwann Freunde geworden sind, war erstmal weg. Die wissenschaftliche Kreativität, die viele Hochschullehrende auszeichnet, hat enorm gelitten. Weniger Zeit zu haben für die eigene Lebensbewältigung – das fand ich sehr schmerzlich und belastend. Bei meinem Umzug nach Trier bin ich praktisch in einer verschlossenen Stadt angekommen. Eigentlich erkunde ich gerne Kultur und Stadtgeschichte, das ist bis heute sehr eingeschränkt.
Gibt es einen Austausch zwischen Lehrenden und Lernenden darüber, wie es zum Beispiel deinen Studierenden mit der Situation geht?
M.W.: Letzten Sommer hatten wir mit einem Seminar die Idee, ein regelmäßiges Zoom-Café einzurichten. Wir fangen eine Viertelstunde früher an und tauschen uns aus. Dort haben wir den Alltag besprochen, aber auch Dinge, die belasten. Was ich erfahren habe, ist, dass viele Studierende den Job verloren haben, es Unsicherheiten zum eigenen Wohnsitz gab und gibt, also ganz unmittelbare Fragen in der Lebensführung. In vielen Studierenden hat das vieles verändert und sie sehr belastet. Aber auch was das Lernen angeht, habe ich erst im Austausch mit Studierenden ganz konkret erfahren, wie anstrengend es ist, wenn sich morgens asynchrone Lehraufträge häufen und wir als einzelne Lehrpersonen gar nicht auf dem Schirm haben, wie viel das ist. Die Bilanzierung ist häufig falsch, habe ich gelernt. Man denkt, dies oder jenes geht rasch und ganz schnell aber ich würde sagen, die psychosoziale Belastung mit dieser besonderen Form des Lernens darf man nicht unterschätzen. Ich bin dankbar für die Offenheit der Studierenden, die ich bekommen habe.
“Im Austausch mit Studierenden habe ich erfahren, wie anstrengend es ist, wenn sich morgens asynchrone Lehraufträge häufen und wir als einzelne Lehrpersonen gar nicht auf dem Schirm haben, wie viel das ist.”
Prof. Dr. Marc Weinhardt
M.W.: Mir ist aber noch etwas anderes aufgefallen: Die Pandemie hat auch gezeigt, dass eine schwarze Zoom-Kachel, die häufig als Rückzug gedeutet wird, für manche Studierende auch eine Ermutigung ist, sich in einem geschützten Setting zu Wort zu melden. In Einzelsprechstunden wurde mir das so kommuniziert. Wie die Studierenden mit digitalen Formaten umgehen und sie für sich wahrnehmen ist wirklich ganz unterschiedlich. Ich habe also einerseits viel von Belastung erfahren, aber andererseits auch, dass es Umgangsweisen gab, sie zu bewältigen. Und manchmal waren es auch Chancen.
Was wünschst du dir für die Universität im kommenden Jahr?
M.W.: Die Universität als Ort der Begegnung soll offen bleiben, auch jenseits von Lehrveranstaltungen. Ich finde es wichtig, dass es eine Mensa gibt und Sonnenstrahlen auf der Forenplatte, wo man sich trifft zum Austausch und zum Diskutieren. Ich wünsche mir, dass wir es als Land schaffen, bis Sommer alle zu impfen. Mein Plädoyer ist, nicht wieder die Bildungseinrichtungen zu schließen solange es sich vermeiden lässt.
Zum Schluss die obligatorische Frage: Was ist dein aktueller Lieblingsort?
M.W.: Ganz eindeutig die Universität. Ich sitze total oft am See oder gehe am Wochenende mit meiner Partnerin in den Weinbergen spazieren. Wie der Campus in die Landschaft eingebaut ist, finde ich beeindruckend. Für mich ist es ein konkreter Ort, an dem sich meine wissenschaftlichen Passionen kristallisieren.
Disclaimer: Da ich keine aktuell eingeschriebene Studentin an der Universität Trier bin, haben wir uns vor dem Interview auf das Du geeinigt.
Vielen Dank für die Gespräche!
Fotos: Sascha Stranen